Verletzungsfrei dank minimalistischem Schuhwerk?

Was unterscheidet Barfußschuhe von herkömmlichen Schuhen?
Welche Vorteile haben sie?
Und was muss ich beachten?

Vor einigen Jahren, als ich mich zum Studium im hohen Norden aufhielt, war ich an einem sonnigen Sonntag mit ein paar Freunden zum Kicken verabredet. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich einige Jahre nicht gegen den Ball getreten, da ich mich als leidenschaftlicher Läufer um meine Gesundheit sorgte – eine Laufpause war damals wie heute ein regelrechtes Drama.

Zu meiner Entgeisterung musste ich schnell feststellen, dass mir über die Jahre nicht nur die gewohnte Ballbeherrschung, sondern auch das Spielverständnis abhanden gekommen war. Mehr oder weniger frustriert setzte ich auf die Ausdauerkarte und rannte den kleinen Gummiplatz wie ein Berserker auf und ab. In einem unachtsamen Moment nahm das Unheil seinen Lauf, indem ich auf den Absatz, welcher den Platz vom umliegenden Rasen trennte, trat. Ich knickte so heftig um, dass meine Bänder förmlich explodierten und in der Folge kein Auftreten mehr möglich war. Innerhalb kürzester Zeit schwoll mein Knöchel auf das Doppelte an. Am nächsten Morgen präsentierte sich die Verletzung farblich irgendwo zwischen Aubergine und Maracuja und gab mir damit letzte Gewissheit über die Ernsthaftigkeit.

Eine kompetente Sportmedizinerin bestätigte mir Stunden später das Offensichtliche: Band-Ruptur am Sprunggelenk. So ärgerlich und niederschmetternd die Diagnose, so offenbarend war das anschließende Gespräch.

Vom Läufer zum Athleten

In schonungsloser Offenheit legte die Ärztin mir meine Versäumnisse im Athletik- und Koordinationsbereich dar. Wie so viele Läufer hatte auch ich mich darauf versteift, möglich viel zu Laufen und habe vor lauter Kilometersammelei ausgleichendes Training und Dehnen vernachlässigt.

Diese einseitige Belastung kann auf Dauer zu muskulären Dysbalancen führen. Klassische Problemzonen bei Läufern sind eine zu schwache Rumpf- und Schultermuskulatur und verkürzte Hüft- und Beinbeuger. Letzteres ist ein typisches Beispiel für eine einseitige Belastung. Denn der vordere Oberschenkelmuskel, wird bei Läufern im Vergleich zu seinem Gegenspieler, dem Beinbeuger, übermäßig stark trainiert. Wirkt man dem durch Krafttraining und Dehnen nicht entgegen, kommt es langfristig zu einer Störung des Bewegungsablaufes und in der Folge zu Schäden.

Auch eine zu schwache Oberkörpermuskulatur wirkt sich auf Grund der Kreuzkoordination negativ auf den Laufstil und dauerhaft auf den Bewegungsapparat aus. Nicht wenige Knieprobleme entstammen einer vernachlässigten Oberkörpermuskulatur.

Inspiriert durch das Gespräch, meldete ich mich, nach halbwegs auskurierter Verletzung, im Fitnessstudio, an um an meinen Defizienten zu arbeiten. Zu Beginn beschränkte ich mich auf klassisches Gerätetraining der großen Muskelgruppen und Dehnübungen, wie man sie aus dem Sportunterricht kennt. Willens meinen Körper noch robuster, beweglicher zu machen und in Zukunft vor Verletzungen zu bewahren, begann ich mich in der Folgezeit zudem ausgiebig mit dem Thema Verletzungsprävention auseinanderzusetzen. Dies führte dazu, dass ich mein Training bald auf Eigengewichtsübungen und diverse funktionelle Einheiten umstellte. Inzwischen war meine Verletzung kein Thema mehr und ich konnte wieder mehrmals die Woche ohne Beschwerden Laufen gehen. Das Training machte sich bezahlt, da ich das Gefühl hatte, insgesamt athletischer zu sein und dass sich meine Laufökonomie drastisch verbessert hatte. Auch längere Läufe konnte ich ermüdungsfreier absolvieren als zuvor.

Zurück zur Natur

Immer wieder stieß ich bei meiner Recherche auf das Thema Barfußschuhe und Verletzungsprophylaxe, konnte mich jedoch noch nicht dazu durchringen, mir solche Schuhe an die Füße zu schnüren. Nach ausgiebiger Lektüre war ich von der Grundidee eines Tages dann doch angetan und kaufte mir letztlich meinen ersten Barfußschuh. Einen schlichten Laufschuh namens Evo von Vivobarefoot. Die angeratene Übergangsphase mehr oder weniger ignorierend, machte ich schnell Fortschritte und lief nach zwei Monaten wöchentlich Strecken bis zu 20 Kilometer mit diesem Barfußschuh. Die vermeidliche Belastung steckte ich, abgesehen von etwas Muskelkater in den Waden, locker weg. Im darauffolgenden Frühjahr fühlten sich meine Bein- und Fußmuskulatur so stark an wie nie zuvor und ich begann regelmäßig mit Barfußsandalen zu rennen.

Die Frage, warum Barfußschuhe einen positiven Effekt auf die Fuß- und Beinmuskulatur und die Körperhaltung insgesamt haben, ist mit deren Bauweise verknüpft. Bei Barfußschuhen handelt es sich um Schuhe, welche über keinen Versatz von der Ferse zum Ballen verfügen. Die meisten Schuhe muss man sich wie einen Keil vorstellen – dies entfällt. Außerdem ist die Dämpfung bei (echten) Barfußschuhen gering bis kaum vorhanden. Die Sohle stellt im Idealfall lediglich einen Schutz zum nicht immer barfußfreundlichen Untergrund dar. Je nach Dicke der Sohle und Stärke der Einlage kann man von einer minimalen Dämpfung sprechen. Neben der Beschaffenheit der Sohle ist der fußgerechte Schnitt von vielen konsequent umgesetzten Barfußschuhen ein elementares Kriterium. Neben gewöhnlichen Laufschuhen wirken die Barfußmodelle teilweise wie Entenpaddel. Die Idee dahinter ist, dass sich der Fuß frei entfalten kann und sich die Zehen beim Auftreten unbehindert ausspreizen können. Dies ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass der Fuß seiner natürlichen Funktion nachkommen kann.

Der Fuß als natürlicher Dämpfer

Der menschliche Fuß ist ein komplexes Gebilde, bestehend aus sieben Fußwurzelknochen, fünf Mittelfußknochen und 14 Zehenknochen, welche von 33 Gelenken, 20 Muskeln und 114 Bändern zusammengehalten, stabilisiert und bewegt wird. Durch die starke Fixierung der Gelenke mittels der Bänder entsteht unter dem Fuß ein federndes Gewölbe. Von oben wirkender Druck, wie etwa beim Laufen, wird über Sprung- und Fersenbein sowie den Mittelfuß verteilt und die Last damit aufgefangen.

Wenn wir uns an die oben genannten Hauptaspekte von Barfußschuhen, die flache Sohle und die breite Form erinnern bzw. uns einen konventionellen Laufschuh mit keilförmiger Sohle und schmalem Schnitt vorstellen, lassen sich folgende Tatsachen festhalten: Barfuß oder mit flachen Sohlen lastet 40 Prozent des Körpergewichts auf den Ballen und 60 auf den Fersen. Je nach Höhe des Absatzes, werden bis zu 80 Prozent des Gewichts vom Ballen getragen. Damit der Fuß seiner Funktion als Feder nachkommen kann, benötigt er jedoch Platz, um sich auszubreiten. Dies lässt sich mit nackten Füßen auf hartem Boden gut beobachten. Seine Lage, sprich seine Funktion als zentraler Pfeiler, machen den Fuß zum wichtigsten Stützorgan des Menschen, welches, gemessen an seiner Größe, ein enormes Gewicht tragen muss.

Um seiner Funktion in vollem Umfang nachkommen zu können, ist auch die entsprechende Lauftechnik relevant. Mit einem keilförmigen Laufschuh machen die meisten Läufer – abgesehen von professionellen Athleten – große Schritte, setzen den Fuß vor dem Körper auf und rollen über die Ferse ab. Damit ist der Fuß seiner Funktion beraubt. Der hohe und weiche Absatz des Laufschuhs übernimmt in diesem Fall die dämpfende Funktion des Fußes, nur ohne sein ausgeklügeltes Stabilisationssystem. Würde man barfuß bewusst versuchen, über die Ferse abzurollen, wäre dies auf den meisten Böden eine schmerzhafte und instabile Angelegenheit. Deshalb ändert sich barfuß oder mit Barfußschuhen die Lauftechnik. Die Schritte werden kürzer und der Fuß setzt mit dem Mittel- oder Vorderfuß unter dem Körperschwerpunkt auf. Dadurch ändert sich die gesamte Körperhaltung und der Bewegungsablauf wird insgesamt flüssiger und ökonomischer.

Zurück in die Zukunft

Rein von seiner Funktionsweise und über 100.000 schuhlosen Jahren Evolutionsgeschichte spricht nicht viel dafür, seinen Fuß in zu enge Schuhe mit keilförmigen und gedämpften Sohlen zu packen.

Nehmen wir jedoch einen 40-jährigen Läufer, der die meiste Zeit seines Läuferlebens in zu engen Schuhen mit großem Versatz unterwegs war. Sein Bewegungsapparat, seine Muskeln und Sehnen sowie seine Haltung sind perfekt auf das Laufen mit konventionellen Schuhen abgestimmt. Entsprechend könnte sein Körper eine Umstellung auf Barfußlaufschuhe nicht von heute auf morgen adaptieren. Denn zunächst gilt es, die Muskulatur zu stärken und den Körper an die neue und doch ursprüngliche Belastung zu gewöhnen.

Nachweisbare Folgen von Schuhen mit übertriebener Sprengung sind eine Verkürzung der Achillessehne und Wadenmuskulatur. Wie viele orthopädische Phänomene wirkt sich dies auf den gesamten Bewegungsapparat aus. Um dem Körper einen sanften Übergang zu gewährleisten und keine Verletzungen zu provozieren, bietet es sich an, zunächst auf Schuhwerk mit einem geringeren Versatz zurückzugreifen und sich im Alltag an Barfußschuhe zu gewöhnen. Inzwischen gibt es schöne Modelle für jede Gelegenheit, welche einem ein umfängliches Barfußvergnügen ermöglichen. Zudem gibt es diverse Übungen, welche Muskeln und Sehnen bei der Anpassung unterstützen können.

Ich muss zugeben, dass ich bei meinen Bergläufen nicht (mehr) ausschließlich mit Barfußschuhen unterwegs bin – wohingegen ich im Alltag nur auf sie zurückgreife. Als Ergänzung zu meinen minimalistischen Primus Trail von Vivobarefoot stecke ich meine Füße für längere Strecken und schwierigeres Terrain oftmals in sogenannte Zero-Drop Schuhe mit moderater Dämpfung und ausreichend Platz im Zehenbereich. Diese Schuhe haben wie Barfußschuhe keinen Versatz, jedoch eine minimalistische Dämpfung. Bei entsprechender Lauftechnik ermöglichen diese Modelle ein sauberes Laufen über den Mittelfuß. Natürlich ist das Laufgefühl nur bedingt mit dem eines Barfußschuhs zu vergleichen, jedoch stellen sie einen guten Kompromiss für verschiedene Situationen – und Läufer in der Übergangsphase – dar.

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