Das einfache Leben. Oder: Einfach leben

Die moderne Welt gestaltet sich trotz technologischer Errungenschaften und Helfer zunehmend komplexer und scheinbar unvorhersehbarer. Ein landläufiges dichotomes Denken setzt dabei eine bewusste Vereinfachung des Lebens pejorativ mit einem passiven Aussteigerleben gleich. Mitnichten ist dies der Fall. Denn im Wesentlichen geht es um eine praktische Reduzierung von Überfluss und eine Fokussierung auf das Wesentliche – sowohl im Bereich des Konsums als auch in der Haltung.

Der Konsum der Freizeit

Als moderne Menschen haben wir den Schritt vom einfachen Erdenbewohner zum perfekten Konsumenten vollzogen. In einem Wirtschaftssystem, welches längst die einzelnen Bereiche des Lebens durchdrungen hat und sich als natürlich, gar gottgegeben darstellt, sind Arbeit und Konsum wesentliche Elemente gesellschaftlicher Strukturen und Identität. Die vom harten und banalen Arbeitsalltag geplagten Menschen belohnen sich für die Entbehrungen und verlorene Lebenszeit mit dem Konsum angepriesener Waren und Dienstleistungen, um sich zeitweilig aus der Realität zu transzendieren. Dabei unterliegen selbst Freizeitgestaltung und Hobbys den Gesetzen des Konsums. Die kostbaren Wochenenden und Ferien wollen schließlich genutzt und wie es die Werbung verlangt, mit Shopping, Skipisten und Waldrestaurants sowie Netflix, Prime und HBO gefüllt werden.

Zugegebenermaßen begibt man sich meist auf dünnes Eis und macht sich keine Freunde, wenn man über die soziale Determination menschlichen Handelns diskutiert. Ein Großteil der Menschen wird eine weitreichende Beeinflussung von außen leugnen und darauf verweisen, dass Arbeit notwendig und Konsum auf freiwilliger Basis basieren und einen kategorischen Imperativ daraus machen. Angesichts einer von der Wiege bis zu Bahre wirkenden Erziehung und Sozialisation kann man es ihnen nicht verübeln.

Fromm lässt grüßen

Nichts liegt mir ferner, als den Menschen ihre Lebensweise madig zu machen, sie gar zu verurteilen und Konsum sowie das kapitalistische System zu verdammen. Kapitalismus ist nicht per se schlecht und der Konsum als Antrieb von Innovation und Wohlstand ist es ebenso wenig. Wie so oft geht es um die (faire) Ausgestaltung und die Reduzierung auf das Notwendige.

Dabei sind eine asketische Lebensweise und strikte Konsumverweigerung ebenso wenig zielführend wie ein ausufernder hedonistischer Konsum auf Kosten von Mitmenschen und Umwelt. Im Idealfall gestaltet sich der Konsum utilitaristisch und stellt entsprechend den praktischen Nutzen von Waren oder Dienstleistungen in den Vordergrund. Dieser ist weniger emotional und fremdgesteuert und bezieht idealerweise soziale und umwelttechnische Aspekte mit ein. Ein utilitaristischer Konsum entlastet nicht nur die Umwelt, sondern auch das Portmonee. Denn weniger Geld verbraucht, muss auch weniger Ausgeben. 

Es geht in gewisser Weise um eine Emanzipation von Konsumzwängen und -verführungen und eine Fokussierung auf Wesentliches zugunsten einer Vereinfachung des Lebens. Und es ist mit Sicherheit erstrebenswert, genügsamer zu sein und sich mit dem zufriedenzugeben, was man hat. Man fährt schließlich das Fahrrad, welches man hat, nicht jenes, welches man haben könnte oder sich wünscht.

Dualistisches Denken als Hemmnis

Die Hingabe an die aktuelle Tätigkeit und Verwischung der Grenzen zwischen Arbeit und Spiel, Pflicht und Passion sind Schlüssel zu einem einfachen und zufriedenen Leben. Wenn ich von dieser Gesamtheit des Lebens spreche, so meine ich dies nicht auf eine esoterische oder New-Age-Weise, sondern praktisch und an der Lebenswirklichkeit orientiert. Eine Kunst, das moderne Leben zu meistern und zu vereinfachen, besteht darin, die strikten Trennungen zwischen verschiedenen Bereich aufzuheben. Die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, Bildung und Vergnügen, Verpflichtung und Spaß – vielleicht sogar zwischen Körper und Geist.

Denn diese strikten Trennungen verhindern häufig eine Fokussierung auf das Aktuelle, richten sie doch den Blick auf eine schönere und nicht greifbare Zukunft. Gleichzeitig werden die Freude am Schönen und der Genuss des Augenblicks getrübt, da das Ende absehbar ist und Wehmut einkehrt. Ein Klassiker in dieser Hinsicht ist ein zweiwöchiger Urlaub, auf den man sich nicht voll einlassen kann, da man bereits nach wenigen Tagen das Ende – und den grauen Alltag – raschen Schrittes näherkommen sieht.

Eine individuelle Entscheidung

Neben Einsicht und intrinsischer Motivation spielen die allgemeinen Lebensumstände eine Rolle. Es wäre vermessen und realitätsfern, von jedem Menschen zu verlangen, in seiner Arbeit aufzublühen und ihr was Positives abzugewinnen. Und es ist sicherlich zu viel verlangt, Jahrzehnte der Sozialisation und Gewohnheiten von heute auf morgen zu ändern.

Aber es sicherlich möglich, mehr Menschen dafür zu sensibilisieren, ihr Leben und die Umstände zu hinterfragen. Sowohl nach ihrem Konsum als auch nach dem, was ihr Leben bereichert. Wer Kaufentscheidungen mehr von rationalen als von emotionalen Kriterien abhängig macht, wird feststellen, dass man auf einiges verzichten kann. Denn oftmals stellt sich nach Kauf eines Produktes heraus, dass die Vorstellung, es zu besitzen, spannender war, als es in den Händen zu halten. Und wer weniger materielle Bedürfnisse hat, kann einen Teil der Last, den Beruf und finanzielle Zwänge mit sich bringen, abstreifen. Damit schafft man sich Raum und Zeit für Leidenschaften und Muse.

Die Kunst besteht darin, die gesellschaftlichen Mechanismen zu erkennen und sich seiner eigenen Vorstellungen von Leben bewusst zu werden. Dann kann man damit beginnen, abzuwägen, auszutarieren, sich zu entscheiden – und zu revidieren.

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